Die heilige Johanna der Schlachthöfe

Entstehung

Bertolt Brechts Drama „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ entstand in der Zeit des großen New Yorker Börsenkrachs und der damit verbundenen Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929. Brecht deckt darin die Methoden und Praktiken des kapitalistischen Wirtschaftssystems auf.

Unter Rückgriff auf frühere Stoffe – wie z.B. seiner Gaunerkomödie „Happy End“ – vor allem aber unter dem Einfluss von Schillers „Jungfrau von Orléans“, George Bernard Shaws „Heiliger Johanna“, auch Goethes „Faust“ und nicht zuletzt auch der Bibel und der Werke von Karl Marx schrieb Brecht dann in den Jahren 1931/32 die „heilige Johanna der Schlachthöfe“.

Naziherrschaft in Deutschland, Krieg und Nachkriegszeit sowie auch der „Kalte Krieg“ vereitelten allerdings fast 30 Jahre eine Bühnenaufführung. Erst am 30. April 1959 erlebte das Werk am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg unter Gustaf Gründgens seine Uraufführung.

Inhalt

Bild 1: Der Fleischkönig Mauler bekommt einen Brief von seinen Freunden in New York.

Sie raten ihm, die Hand vom Fleischhandel zu lassen, da der Fleischmarkt derzeit verstopft sei. Mauler überredet daraufhin mit der Begründung, er könne „das blutige Geschäft“ nicht länger ertragen, seinen Kompagnon Cridle, seine Geschäftsanteile für zehn Millionen Dollar zu übernehmen. Cridle verlangt jedoch, dass zuvor noch der Konkurrent Lennox ausgeschaltet werden muss. Dies verspricht Mauler.

Bild 2 a und b: Der Zusammenbruch der großen Fleischfabriken

Die Arbeiterschaft wird zum Opfer des von Mauler und Cridle entfachten wütenden Verdrängungskampfes der Fleischgiganten: Die Arbeiter der Lennox´schen Fleischfabriken protestieren gegen die erneute Lohnsenkung. Lennox kommt schließlich zu Fall, und siebzigtausend Arbeiter werden brot- und obdachlos.

Bild 2 c: Um dem Jammer der Schlachthöfe Trost zu spenden, verlassen die Schwarzen Strohhüte ihr Missionshaus – Johannas erster Gang in die Tiefe.

Die Schwarzen Strohhüte, an ihrer Spitze Johanna Dark, begeben sich in die Quartiere des Elends. Sie wollen „in der Welt blutigster Verwirrung, planmäßiger Willkür und entmenschter Menschlichkeit“ wieder Gott einführen.

Bild 2 d: Von morgens bis abends arbeiteten die Schwarzen Strohhüte auf den Schlachthöfen, aber als es Abend wurde, hatten sie so gut wie nichts erreicht.

Die Schwarzen Strohhüte teilen vor den Fleischfabriken Suppe aus und versuchen, die hungernden entlassenen Arbeiter mit dem Hinweis auf Gott zu trösten. Aber als die Suppe aufgegessen ist, gehen die Arbeiter davon.

Plötzlich kehren die Arbeiter zurück. „Auch Mauler und Cridle schließen!“ heißt es. Johanna ist entsetzt. Sie will wissen, wer an all dem Elend schuld ist und Mauler persönlich aufsuchen. Die Schwarzen Strohhüte warnen sie, aber Johanna lässt sich nicht umstimmen.

Bild 3: Pierpont Mauler verspürt den Hauch einer anderen Welt.

Mauler fordert, dass Cridle nunmehr vertragsmäßig, da Lennox „aus“ ist, den Packhof übernimmt. Cridle kann aber aufgrund der schlechten Marktlage nicht mehr die volle vereinbarte Summe zahlen. Mauler bleibt hart und damit steht Cridle vor dem Ruin.

Inzwischen ist Johanna zu Mauler vorgedrungen und stellt ihn zur Rede: „Warum, Mauler, sperrst du die Arbeiter aus?“ Mauler flüchtet sich in Ausreden. Zugleich weist er Johanna auf die Schlechtigkeit der Arbeiter hin, sie verdienen kein besseres Los. Sein Makler Slift soll Johanna den Beweis liefern und sie zu den Armen führen, denen sie helfen will.

Bild 4: Der Makler Slift zeigt Johanna die Schlechtigkeit der Armen – Johannas zweiter Gang in die Tiefe

Johanna hört und sieht Entsetzliches. Ein Mann namens Luckerniddle ist in den Sudkessel gefallen und in die Blattspeckfabrikation hineingeraten; ein Arbeiter eignet sich seinen Rock und seine Mütze an.

Luckerniddles Frau, die vergeblich auf ihren Mann wartet und die Fabrikherren vor der Fabrik öffentlich anklagt, soll – damit sie Ruhe gibt – drei Wochen lang in der Werkskantine umsonst Essen bekommen. Johanna bezweifelt, dass sie dies annehmen wird, aber der Hunger treibt Frau Luckerniddle dazu. Johanna ist bestürzt. Sie sagt zu Slift: „ Nicht der Armen Schlechtigkeit hast du mir gezeigt, sondern der Armen Armut.“

Bild 5: Johanna stellt der Viehbörse die Armen vor.

Mauler verschleudert Büchsenfleisch zum Billigpreis, wodurch die Viehzüchter und Packherren ihr Vieh und ihr Fleisch nicht mehr loswerden. Kurssturz am Effektenmarkt: Um Mauler auszahlen zu können, muss Cridle einen Großteil seiner Aktien zum Schleuderpreis verkaufen und reißt damit die Kurse des ganzen Fleischrings in den Abgrund. Mauler greift zu, kauft zu niedrigem Preis die gesamten Fleischbestände auf und stützt somit anscheinend den Fleischmarkt.

Johanna versucht, moralisch auf die wirtschaftlichen Manipulationen einzuwirken. Die Viehzüchter danken Johanna für ihre Bemühungen, und Mauler will sogar die Fabriktore für die Arbeiterschaft wieder öffnen lassen.

Bild 6: Der Grillenfang.

Beeindruckt von Johannas Reden – (vielleicht aber auch, weil er mögliche Gewaltakte der Arbeitslosen fürchtet) – hat Mauler Büchsenfleisch aufgekauft. Aber die aufgekauften Bestände sind nicht absetzbar. Da raten ihm seine Ratgeber aus New York in einen weiteren Brief, den Mauler zunächst nicht ernst nimmt, Fleisch zu kaufen. Die Situation ändert sich damit grundsätzlich, und was nach edelmütiger Hilfe für die Arbeitslosen aussah und anscheinend zur Stützung des Fleischmarktes diente, erweist sich als glänzendes Geschäft.

Johanna tritt mit den Viehzüchtern auf und konfrontiert Mauler mit deren Notlage. Mauler gibt schließlich nach und erklärt sich bereit, den gesamten Viehbestand der Tagespreis zu kaufen.

Viehhändler und Johanna sind erfreut, weil sie annehmen, dass nun die Produktion endlich wieder in Gang kommt und es auch für die Arbeiter wieder Brot geben wird.

Bild 7: Austreibung der Händler aus dem Tempel.

Die Schwarzen Strohhüte können ihre Miete nicht bezahlen, und Snyder, ihr Major, beschließt, die Reichen und Wohlhabenden um Unterstützung anzugehen. Als Gegenleistung soll ihnen angeboten werden, umstürzlerischen Tendenzen bei den Arbeitern entgegenzuwirken und ihnen eine Entschädigung für ihr Elend im Jenseits zu versprechen.

Die Packherren klagen darüber, dass Mauler alles aufkauft, auch das Vieh, obwohl er weiß, dass sie vertraglich verpflichtet sind, Fleisch in Büchsen abzuliefern und somit Vieh benötigen. Sie bitten Johanna, sie möge Mauler beeinflussen, das Vieh herauszurücken, und versprechen, dafür den Schwarzen Strohhüten vier Jahre lang die Miete zu zahlen.

Als Johanna erfährt, dass die Fabriken trotz der ihr gegebenen Zusagen immer noch geschlossen sind und die Arbeitslosen noch immer in der Kälte stehen, jagt sie empört die Händler aus dem Haus der Schwarzen Strohhüte hinaus.

Snyders Plan, die Fleischkönige als Unterstützer für seine Organisation zu gewinnen, bricht damit zusammen, und er weist Johanna gleichfalls aus dem Haus.

Bild 8: Pierpont Maulers Rede über die Unentbehrlichkeit des Kapitalismus und der Religion.

Mauler beherrscht nun den Fleischmarkt, der Viehbestand ist gleichfalls in seinen Händen.

Johanna hat Mauler erneut aufgesucht und macht ihm die schlechte wirtschaftliche Lage der Schwarzen Strohhüte klar, zu denen sie inzwischen nicht mehr gehört. Mauler will das Geld für die Miete beschaffen. Er verlangt aber von Johanna eine Rechtfertigung seiner Manipulationen beim Fleischring. Johanna aber stellt sich auf die Seite der Arbeitslosen und Hungernden auf den Schlachthöfen. Wenn Mauler sie künftig sehen will: dort wird sie zu finden sein.

Bild 9 a-k: Johannas dritter Gang in die Tiefe – der Schneefall.

Wechselseitig spielt in den Szenen 9a-k jeweils eine Szene an der Viehbörse, während die andere Johanna im Kreis der Armen zeigt.

Mauler hat den Fleischmarkt im Griff. Die Fabrikanten müssen, um ihrem Vertrag mit ihm nachzukommen, Vieh kaufen; aber Mauler hat alles aufgekauft. Die Viehhändler und Fabrikanten müssen sich den von Mauler diktierten Preisen beugen, die dieser über seinen Makler Slift in schwindelnde Höhen steigen lässt. Folge: Zahlreiche Firmen kommen nicht mehr mit und müssen ihre Zahlungen einstellen. Die Arbeiter werden wieder arbeitslos. Vor den Toren der geschlossenen Schlachthöfe kommt es zu Tumulten. Man fordert den Generalstreik und die Anwendung von Gewalt.

Johanna erhält – da sie als unverdächtig gilt – von den Arbeitern den Auftrag, einen Brief mit der Aufforderung zum Streik an die Arbeiter Cridlewerke zu übergeben.

Als Johanna aber hört, dass der „Millionär Pierpont Mauler den Schlachthäusern trotz steigender Preise Vieh ablässt und dass unter diesen Umständen morgen die Arbeit auf den Höfen wieder aufgenommen wird“, beschließt sie, den Brief nicht zu übergeben. Sie will den Armen helfen, sie will das soziale Bewusstsein der Unternehmer und Fabrikanten verändern, sie zu humanitärer Gesinnung umerziehen, nicht aber mit Gewalt das herrschende System beseitigen. Es ist Johannas Schuld, dass der Generalstreik nicht zustande kommt.

Sie begreift nicht, dass der Zweck dieser neuen Aktion Maulers ausschließlich der Erhaltung des kapitalistischen Profitsystems dient. Was nur Berechnung ist, sieht sie als ein Zeichen der Menschlichkeit und Güte an.

Während sie auf eine humanitäre Wandlung der Fleischkönige hofft, wird in der Ferne das Knattern von Maschinengewehren hörbar. Die Fleischkönige schlagen mit Gewalt zurück: sie haben Militär einsetzen lassen, um ihr System aufrecht zu erhalten.

Die Arbeiter aber klagen Johanna an: „Wir haben dir einen Auftrag gegeben. Du konntest unseren Auftrag ausführen, und du konntest uns auch verraten. Hast du ihn ausgeführt?“

Johanna hat ihn nicht ausgeführt. Sie hat die Sache der Arbeiterschaft verraten.

Bild 10: Pierpont Mauler erniedrigt sich und wird erhöht.

Da die Schwarzen Strohhüte ihre Miete bezahlen können, wirft sie der Hausherr kurzerhand hinaus. Der Hinweis, dass der reiche Mauler seine Unterstützung zugesagt habe, verfängt nicht. Als Mauler schließlich erscheint, kommt er als ein Reuiger und Bußfertiger, aber ohne Geld.

Mauler gebärdet sich als Sünder, der die Verzeihung und Gnade Gottes erfleht. Die Strohhüte aber brauchen Geld; ein bußfertiger Armer, mag er auch Mauler heißen, ist für sie wertlos. Snyder treibt Mauler hinaus; dieser wird jedoch von den erbitterten Packherren und Viehzüchtern gestellt, die ihm seine schändlichen Manipulationen und Geschäftspraktiken vorrechnen.

Da trifft ein neuer Brief aus New York ein, in dem Maulers Ratgeber ihm zu einem Abkommen mit den Viehzüchtern raten und zur Beschränkung des Viehangebots, damit der Preis sich wieder erholt. Sofort schwenken die Packherren und Viehzüchter wieder um und bitten Mauler, „das Joch der Verantwortung“ wieder auf sich zu nehmen..

Scheinbar widerwillig ist Mauler dazu bereit. Er verlangt aber, dass „das Geknatter der Maschinengewehre sanktioniert wird in ganz großer Weis und als zum Wohl der Allgemeinheit unbedingt gehörend begriffen wird“. Er will ferner die Sache der Schwarzen Strohhüte großzügig subventionieren, wenn sie „für uns reden überall, dass wir gute Leute sind, Gutes planend in schlechter Zeit.“ Er schließt endlich alle Packhöfe zu einem Ring zusammen und übernimmt die Hälfte der Anteile. Um die Preise zu halten, soll ein Drittel allen Viehs, das derzeit auf dem Markt ist, verbrannt werden.

Ferner erklärt Mauler es für notwendig, auch ein Drittel der Arbeiter auszusperren, um die Produktion zu begrenzen. Auch müssen die Arbeitslöhne gesenkt werden.

Ein Makler bringt die Nachricht, dass der drohende Generalstreik niedergekämpft sei und die Verbrecher, die Ruhe und Ordnung gestört haben, in die Zuchthäuser geworfen worden seien. Mauler triumphiert, die Schwarzen Strohhüte sind froh.

Bild 11 a-b: Johanna wird Augenzeugin der Verhaftung von Arbeitern.

Sie hört von den Zeitungsleuten, dass die Sache der Arbeiterschaft „schief gegangen ist“, dass die Schlachthäuser nur für zwei Drittel der Belegschaft und nur zu einem Zweidrittellohn geöffnet werden. Sie erkennt ihre Schuld und wird ohnmächtig.

Bild 12: Tod und Kanonisierung der heiligen Johanna der Schlachthöfe

Das Haus der Schwarzen Strohhüte ist nunmehr reich ausgestattet. Die Religion hat ihr Bündnis mit dem Kapitalismus geschlossen. Johanna wird von zwei Polizisten zu den Schwarzen Strohhüten zurückgebracht. Die Fabrikanten und Packherren haben beschlossen, Johanna „groß“ herauszubringen,

Johannas Erkenntnis kommt zu spät: “Die aber unten sind, werden unten gehalten, damit die oben sind, oben bleiben.“

Johanna bricht unter ihrer Schuld, unter ihrem Versagen, das sie nun einsieht, zusammen. Ihre Kräfte schwinden immer mehr dahin. Mit Chorgesängen versucht man ihre aggressiven Reden zu unterbrechen, zu übertönen.

Ensemble & Team

Das Ensemble

Johanna Dark,
Leutnant der Schwarzen Strohhüte
Judith Pieper
Pierpont Mauler, FleischkönigGunnar Bolsinger
Fleischfabrikanten, Packherren:
1. CridleWolfgang Dietz
2. GrahamPhilipp Höck
3. MeyersAmaya Russ
Viehzüchter: 
1. ViehzüchterKlaus Steinhauer
2. ViehzüchterinLisa Güldener
3. ViehzüchterBenjamin Berthold
Slift, eine MaklerinViola Tscheuschner
Frau Luckerniddle,
Frau eines Arbeiters
Jaya Bowry
Gloomb, eine ArbeiterinSaskia Färber
Paulus Snyder,
Major der Schwarzen Strohhüte
Hermann Römer
Die Schwarzen Strohhüte, die Heilsarmee:
MarthaVera Bornkessel
1. StrohhutJorien Gradenwitz
2. StrohhutChristine Ibrahim
Arbeiter/-innen:
1. ArbeiterinFee Nußbaum
2. ArbeiterinSibel Vural
3. ArbeiterRobert Garmeister

Das Team

Inszenierung und RegiePia Nußbaum
DramaturgiePhilipp Höck
BühnePia Nußbaum
KostümeBenjamin Berthold
Saskia Färber
RequisiteFee Nußbaum
MaskeLisa Güldener
Licht und TonCelina Hofer
Oliver Kelm
Christian Kühl
Moritz Steinhauer
Fabian Vogt
Redaktion ProgrammzeitungGunnar Bolsinger
Philipp Höck
Pia Nußbaum
Hermann Römer
Viola Tscheuschner
Layout ProgrammzeitungChri Neumeyer
FotografienAndrei Betea
Chri Neumeyer
ÖffentlichkeitsarbeitStefan Wendt
Hermann Römer
Amaya Russ
Musik & KompositionenMichael Bork
HomepageJaya Bowry
Oliver Kelm

Die nächsten Termine

Die Vorstellungen von "Wunderland" am 10. und 11.11. müssen leider krankheitsbedingt entfallen!

Es sind Ersatzvorstellungen geplant und die Karten behalten ihre Gültigkeit.

Weitere Informationen finden Sie unter: https://taf.theater/wunderland/ 

Das TAF steht auch persönlich am Freitag, den 10.11. von 19:30 Uhr bis 20:00 Uhr und am Samstag, den 11.11. von 18:30 Uhr bis 19:00 Uhr im Foyer des Großen Saals der Trinkkuranlage in Bad Nauheim zur Verfügung.